Sachverständigenrat für Umweltfragen

Selbstregulierung in der europäischen Umweltpolitik

Konferenz der europäischen Umwelträte in Amsterdam

Datum 03.11.1997

"Self Regulation within Society" war das Thema der fünften Jahreskonferenz der europäischen Umwelträte am 24. und 25. Oktober 1997 im niederländischen Vinkeveen bei Amsterdam. Nach den Treffen in Brüssel, Berlin, Reading und Stockholm bot sich für die Umwelträte diesmal die Möglichkeit, aktuelle Entwicklungen in der umweltpolitischen Instrumentendebatte zu erörtern sowie den Zusammenschluß der europäischen Umwelträte voranzubringen.

Selbstverpflichtung als Instrument der Selbstregulierung

In den meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union hat eine Debatte über Politikformen im Schatten der Hierarchie eingesetzt, das heißt über Formen gesellschaftlicher Selbstregulierung jenseits staatlicher Interventionen und administrativer Vorschriften und Kontrolle ("command and control"). Diese Politikformen sind nicht neu, haben aber in für die Umweltpolitik schwierigen Zeiten offenkundig eine neue Bedeutung erfahren. So unklar eine exakte Begriffsbestimmung von Selbstregulierung auch sein mag und so abhängig diese Konzepte von den politischen Rahmenbedingungen im jeweiligen EU-Mitgliedstaat erscheinen, so gelangen einige Instrumente, die dem Konzept gesellschaftlicher Selbstregulierung zugeordnet werden können, in vielen EU-Staaten gleichzeitig zur Anwendung. Zu nennen sind hier vor allem Selbstverpflichtungen der Wirtschaft (oder Umweltvereinbarungen, "voluntary agreements") sowie Kooperationsformen in ländlichen Räumen oder Agenda-21-Prozesse. Gerade auf regionaler Ebene und in bestimmten Bereichen, etwa bei Naturschutzbelangen, haben solche kooperativen Instrumente Bedeutung erlangt. Dabei stehen diese Instrumente auch im Zusammenhang mit den Forderungen der EU-Kommission, einen notwendigen Instrumenten-Mix einzuleiten, was auch die Anwendung marktorientierter Instrumente (Lizenzen, Abgaben) einschließt. Auch die Neigung der Kommission, immer häufiger nur noch die umweltpolitischen Rahmenbedingungen zu setzen und die Ausgestaltung den Mitgliedstaaten zu überlassen, paßt in diese Entwicklung.
Wendet man sich jedoch konkret diesen Instrumenten in der politischen Anwendung zu, zeigt sich eine Fülle von Problemen und Restriktionen, die die Bedeutung solcher Instrumente stark relativieren. Dies zeigt sich insbesondere bei Selbstverpflichtungen der Wirtschaft. Seit den achtziger Jahren kommen Selbstverpflichtungen in fast allen Mitgliedstaaten verstärkt zum Einsatz, insbesondere in den Niederlanden und in Deutschland. Dabei wirkt die oben genannte veränderte Politikstrategie, also der mehr partizipative Ansatz und die konsensorientierte Vorgehensweise, auch konstitutiv für das Instrument der Selbstverpflichtung. Die Effektivität von Selbstverpflichtungen hängt ganz wesentlich von der Transparenz der Vereinbarungen ab sowie vom Engagement und vom Willen der Beteiligten. So sind Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit die wichtigsten Kriterien zur Beurteilung von Selbstverpflichtungen. Die Europäische Umweltagentur hat in diesem Zusammenhang einen Bericht zum Thema Umweltvereinbarungen vorgelegt, der vor allem klare Ziele fordert, um die Aushandlung, Umsetzung und Evaluierung von Umweltvereinbarungen transparenter zumachen und zuverlässige Vorkehrungen zur Überwachung und Berichterstattung einführen zu können.
Insgesamt ist festzustellen, daß Selbstverpflichtungen mittlerweile eine wichtige Rolle in der Umweltpolitik spielen, dies zeigt allein die Zahl der Selbstverpflichtungen in den EU-Mitgliedstaaten. Der Erfolg einer Selbstverpflichtung ist allerdings nur schwer abzuschätzen – eine Evaluierung trifft auf erhebliche methodologische Probleme. Auch bedarf es klarer Kriterien für den Einsatz dieses Instruments: eindeutige Umweltziele, ein funktionierendes Monitoring- und Berichtssystem, Transparenz der Vereinbarungen, zeitliche Vorgaben und nicht zuletzt Sanktionspotentiale bei Mißerfolg der Selbstverpflichtung. Die Frage nach der Rechtsverbindlichkeit der Selbstverpflichtung ist dagegen noch weitgehend offen. Allerdings läßt sich in den Mitgliedstaaten ein Trend zur stärkeren Formalisierung von Selbstverpflichtungen beobachten. Vieles spricht dafür, das Instrument von Fall zu Fall und von Land zu Land zu beurteilen, sehr zurückhaltend auf überzogene Erwartungshaltungen zu reagieren und Selbstverpflichtungen nur als einen Teil eines komplexeren und problemadäquateren Instrumenten-Mixes zu begreifen. Im letzten Punkt stellt sich jedoch die Frage, inwieweit eine weitere Ausdehnung des Einsatzes von Selbstverpflichtungen die Rahmenbedingungen für den gleichzeitigen Einsatz marktorientierter Instrumente eher verschlechtert.
Gesellschaftliche Selbstregulierung im allgemeinen und Selbstverpflichtungen der Wirtschaft im besonderen treffen jedoch innerhalb der EU-Mitgliedstaaten auf eine tendenziell unterschiedliche Einschätzung: während gerade die niederländischen Räte diesen Instrumenten sehr positiv gegenüberstehen, überwiegt bei anderen Räten, etwa aus Großbritannien und aus Deutschland, eher die Skepsis. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Europäische Kommission dieser Skepsis und den genannten Kriterien für die Wirksamkeit von Selbstverpflichtungen in ihrem Vorhaben über Umweltvereinbarungen (KOM(96)561) Rechnung trägt.

Zusammenarbeit der europäischen Umwelträte

Als eine bestimmte Form der Selbstregulierung könnte man auch die Zusammenarbeit der europäischen Umwelträte seit ihrer ersten Zusammenkunft im Jahre 1993 bezeichnen. Mittlerweile haben die europäischen Räte eine gemeinsame Anlaufstelle (Focal Point) etabliert, die zum einen die Kommunikation unter den Räten erleichtert und zum anderen gemeinsame Stellungnahmen sowie die beratende Tätigkeit der Räte gegenüber den Organen der EU koordiniert. Die Teilnahme von 24 Ratsinstitutionen aus 13 EU-Mitgliedstaaten und aus Ungarn sowie von Vertretern der EU (DG XI, Europäische Umweltagentur, Consultative Forum) auf der Konferenz in Vinkeveen zeigt das Interesse an der gemeinsamen Arbeit. Der Focal Point wird weiterhin bei English Nature angesiedelt sein. Vorsitzender des Steering Committee, das die Arbeit des Focal Point inhaltlich begleitet, ist Professor E. Rehbinder vom deutschen Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU). Die Aktivitäten der Europäischen Umwelträte sind auch im Internet abrufbar: www.eur-focalpt.org
Thema der nächsten Jahreskonferenz 1998 in Helsinki werden Überlegungen zur Integration von Umweltpolitik und zur Implementation umweltpolitischer Maßnahmen sein.

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