Sachverständigenrat für Umweltfragen

Informationen zum Umweltgutachten 1996

Datum 08.03.1996

Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen übergab der Bundesregierung am 8. März 1996 sein neues Umweltgutachten. Neben der Analyse zum Umgang mit dem Leitbild einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung und der Einschätzung der deutschen wie auch der europäischen Umweltsituation und -politik werden in diesem Umweltgutachten die Sonderthemen "Bedeutung der Umweltverbände für die Operationalisierung des Leitbildes einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung", "Umweltstandards: Bedeutung, Situationsanalyse,
Verfahrensvereinheitlichung" und "Umweltgerechte Finanzreform: Perspektiven und Anforderungen" aufgegriffen.

Keine Rücknahme des Anforderungsniveaus im Umweltschutz

Bestehende Umweltpolitikinstrumente müssen systematisch einer Effektivitätsprüfung unterzogen, neue Steuerungsformen entwickelt und auf ihre Brauchbarkeit hin überprüft werden – auch unter dem zunehmenden Vermittlungs- und Einigungszwang bei umweltpolitischer Regelungen auf europäischer und internationaler Ebene. Der Umweltrat verkennt aber nicht, daß die Umweltpolitik derzeit ständig der Gefahr ausgesetzt ist, durch andere Politikfelder zurückgedrängt zu werden, allen voran durch die angespannte Arbeitsmarktsituation. Der Umweltrat
ist der Meinung, daß die Diskussion um den "Wirtschaftsstandort Deutschland" dringend der Versachlichung bedarf. Standorterhebliche Fragen dürfen nicht als Begründung für andere Ziele, vor allem nicht für die Senkung des Umweltschutzniveaus, mißbraucht werden. Dies gilt auch für die Vorschläge für eine weitere Beschleunigung der Genehmigungsverfahren. Soweit sie darauf abzielen, umweltrelevante Schutzstandards abzuschwächen und Beteiligungsrechte abzubauen, lehnt der Umweltrat dieses entschieden ab. Die Selbstverpflichtungen der
Wirtschaft stehen auf dem Prüfstand. Sie sind bisher noch nicht überzeugend, sondern müssen erst den Beweis der größeren Effektivität gegenüber ordnungsrechtlichen Maßnahmen erbringen. Im Spannungsfeld Politik, Wirtschaft und Umwelt empfiehlt der Umweltrat bei Entscheidungs- und Konfliktregelungsverfahren eine umfassende und frühzeitige Umweltverbändebeteiligung, d. h. die angemessene Berücksichtigung gesellschaftlicher Interessen. Akzeptanz und Erfolg der Umweltpolitik hängt wesentlich vom Umweltbewußtsein, zugleich aber auch vom Willen des Bürgers zu Verhaltensänderungen ab – hier fordert der Umweltrat dazu auf, stärker in Richtung Umweltbildung aktiv zu werden.

Einzelne Umweltpolitikbereiche sind besonders gefordert

Naturschutz: Nach wie vor steht die Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes an. Dabei muß das Agrarprivileg abgeschafft werden; nur eine Gleichbehandlung mit anderen gewerblichen und industriellen Nutzern ist akzeptabel. Notwendig ist ein flächendeckender Naturschutz, wobei eine Bundesnaturschutzkonzeption deutlich ausweisen muß, wo intensive
Nutzungen möglich oder gar im Sinne des Naturschutzes notwendig sind. Des weiteren bedarf es klarer Aufgabenanweisungen in den Bereichen Arten- und Biotopschutz, Sicherung, Pflege und Wiederherstellung von Lebensräumen, Erhaltung biologischer Vielfalt sowie Erhalt, gegebenenfalls auch Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes.

Bodenschutz: Sollte in dieser Legislaturperiode die Verabschiedung des Bundesbodenschutzgesetzes und dessen untergesetzlichen Regelwerkes nicht gelingen, besteht die Gefahr des endgültigen Aus. Nachbesserungen auf der Grundlage von Erfahrungen aus der Anwendung des Gesetzes sind besser als ein gänzliches Scheitern. Die Forderung nach einem periodischen Bodenzustandsbericht zielt gleichzeitig auf Fragen nach Bodendegradation, -erosion usw. als auch auf Fragen des Hochwasserschutzes ab, um zum Beispiel flächendeckend alle Möglichkeiten der Entsiegelung, Beschränkung der Versiegelung, Verbindung der Bodenverdichtung sowie Regenwasserversickerung abzuklären. Diese Problemstellung sollte auch bei der Novellierung des Raumordnungsgesetzes sowie im Planungs- und Baurecht der Länder Berücksichtigung finden.

Gewässerschutz: Des weiteren erachtet der Umweltrat unbedingt eine Verringerung der Stoffeinträge in Nord- und Ostsee als auch in die Fließgewässer für geboten. Sollten z. B. Stickstoffeinträge nicht durch die Düngeverordnung verringert werden, schlägt der Umweltrat erneut die Einführung einer Mineraldüngerabgabe vor. Auch ist der Umweltrat der Meinung, daß stärker als bisher die Erhaltung der Gewässerstrukturen im Vordergrund stehen muß. Deshalb lehnt der Umweltrat den Ausbau der großen, relativ naturnahen Flüsse, wie etwa Elbe und Saale, zu hochleistungsfähigen Wasserstraßen ab.

Abfallwirtschaft: Im Bereich der Abfallwirtschaft sind in den letzten Jahren in großem MaßeEntsorgungskapazitäten ausgebaut worden. Der Umweltrat hält ein Überangebot an örtlichen Entsorgungskapazitäten aber keineswegs für ein Übel, dem z. B. überregional mit verminderten Vermeidungsanstrengungen zu begegnen ist. Auf europäischer Ebene soll eine Verpackungsrichtlinie mit einer Ausrichtung an "Höchstquoten" für die stoffliche Verwertung von Verpackungsabfällen verabschiedet werden. Der Umweltrat befürchtet, daß damit die Bemühungen der Industrie, Recyclingprodukte auf den Märkten zu etablieren, gebremst werden.

Luftreinhaltung: In der Luftreinhaltepolitik steht nach wie vor die Suche nach effektiven CO2¬Minderungsstrategien vorn an, ohne daß bisherige Konzepte voll und ganz überzeugen. Der Umweltrat fordert aber, darüber andere Problemstellungen, wie etwa die Verminderung der Vorläufersubstanzen für Ozon, das sind Stickstoffoxide und leichtflüchtige organische Substanzen, zur Lösung der Sommersmogproblematik, nicht zu vernachlässigen. Die Maßnahmen dürfen sich nicht auf die Begrenzung kurzzeitiger Spitzenwerte nach Häufigkeitskriterien beschränken. In gleichem Maße ist die Absenkung der Dauerbelastung, die für die Langzeitwirkung des Ozons verantwortlich ist, anzustreben. Auch mit Blick auf die bisher bekannte Wirkung des Ozons bedarf es klarer Vorgaben der Wissenschaft für die Politik zur Verminderung der Ozonkonzentration auf gesundheitlich unbedenkliche Werte.
Zur Verminderung der Lärmbelastung sind zusätzliche administrative, technische und planerische Maßnahmen erforderlich. Insbesondere die Antriebsgeräusche bei Lastkraftwagen und Zweirädern, aber auch die Abrollgeräusche, gilt es drastisch zu verringern.

Gefahrstoffe: Im Gefahrstoffbereich analysiert der Umweltrat vier aktuelle Problembereiche: Dioxine/Furane, hormonal wirksame Umweltstoffe, künstliche Mineralfasern und Pyrethroide. Zu jedem Bereich formuliert der Umweltrat Handlungsanweisungen und Forschungsbedarf. Besonders hohe Wogen schlägt derzeit die Diskussion um die Wirkung niederfrequenter elektromagnetischer Felder (Elektrosmog). Abzuwarten bleibt u. a., inwieweit der Bericht der US-amerikanischen Strahlenschutzkommission hier weitere Klärung über Gefahrenpotentiale bringt. Für Privathaushalte sind Vorschriften über Schädlings- und Unkrautbekämpfungsmittel notwendig; die hierzu vorgesehene Biozid-Richtlinie der EU muß im Interesse des Gesundheits-, aber auch des Grundwasserschutzes ebenso strenge Zulassungskriterien und Anwendungsvorschriften aufstellen, wie sie für andere gefährliche Chemikalien gelten.

Festlegung von Umweltstandards nachvollziehbar machen

Die in der Praxis recht unterschiedlich gehandhabte Festlegung von Umweltstandards hat in der Öffentlichkeit Verunsicherung und Vertrauensschwund verursacht. Der Umweltrat hat erstmals eine umfassende Bestandsaufnahme und eine kritische Analyse bestehender Umweltstandards in Deutschland durchgeführt und zahlreiche Defizite im System festgestellt. Er schlägt ein modulartiges Stufenverfahren zur Bereinigung dieser mißlichen Situation vor. Mit der operativen Trennung zwischen Arbeitsstufen erfolgt nach der Definition von Schutzobjekten und -zielen eine klare Rollenzuteilung für die Bereitstellung von naturwissenschaftlichem und technischem Sachverstand und der darauf aufbauenden gesellschaftlich-politischen Bewertung und Entscheidung. Wesentlich erscheint dem Umweltrat dabei, daß die Umweltstandards in voller Transparenz unter angemessener Beteiligung der Öffentlichkeit erarbeitet werden, d. h. ein auch vom Laien nachvollziehbarer Standardfindungsprozeß verfügbar ist.

Eine umweltgerechte Finanzreform auf den Weg bringen

Wirtschaftliche Anreize können wirkungsvoller als das klassische ordnungsrechtliche Instrumentarium oder die Ausrichtung an Umweltstandards sein, wenn das Marktsystem funktioniert. Ausgerichtet am Zielsystem der "dauerhaft umweltgerechten Entwicklung" sollte nach Vorstellung des Umweltrates ein Abbau ökologisch negativer Vergünstigungen stattfinden. Des weiteren sollten bereits bestehende umweltpolitisch motivierte Vergünstigungen und Umweltabgaben verbessert werden; besonders geeignet erscheint hier der Ausbau naturschutzrechtlicher Ausgleichsabgaben. Ebenso erachtet der Umweltrat den Einbau von Anreizen zu umweltgerechtem Verhalten in bestehende Abgaben und Transfersysteme für unabdingbar. Für eine ökonomisch möglichst effiziente Lenkung sollten beispielsweise die Emissionsabgaben im Verkehrssektor an den tatsächlich emittierten Schadstoffmengen ansetzen, wie an den im Abgas gemessenen Emissionen oder hilfsweise an der Motorcharakteristik, der Fahrleistung oder den Betriebszuständen. Wegekosten sollen durch Vignetten erhoben werden. Wohlüberlegt muß aber auch an die Einführung einer Umweltlenkungsabgabe gedacht werden. Bezüglich der derzeitigen Diskussion ist der Umweltrat der Auffassung, daß CO2-Abgaben aufgrund ihrer höheren Effizienz im Klimaschutz einer pauschalen Besteuerung des Energiegehaltes von Energieträgern vorzuziehen ist. Zur Verminderung anderer Massenschadstoffe und Treibhausgase wären zusätzliche Maßnahmen notwendig. Die erforderliche Konkretisierung und Umsetzung einer umweltgerechten Finanzreform sollte einer von der Bundesregierung einzurichtenden, pluralistisch zusammengesetzten ad-hoc-Kommission anvertraut werden. Die Konkretisierung kann nur in kleinen Schritten langfristig angelegt werden.

Umweltverbände stärker in die Umweltpolitik einbinden

Aufgrund ihrer Öffentlichkeitsorientierung können die Umweltverbände den "Transmissionsriemen" zwischen gesellschaftlichen Interessen und umweltpolitischen Notwendigkeiten darstellen. Auf ihrem Weg von der Konfrontation zur Kooperation sollten die Umweltverbände zukünftig früher an Planungsprozessen bzw. an den der Entscheidungsfindung vorangehenden Phasen beteiligt werden. Beispeilhaft hat dies der Umweltrat im vorgeschlagenen Stufenmodell der Umweltstandardsetzung realisiert. Hier sieht der Umweltrat eine Chance für ein Ende der grundsätzlichen Polarisierung zwischen den typischen gesellschaftlichen Kräften in bezug auf die Herausforderungen der Umweltproblematik.

"Lokale Agenda 21" langfristig anlegen

Das Leitbild "dauerhaft umweltgerechte Entwicklung" gewinnt zunehmend an gesellschaftlicher und politischer Bedeutung und dient als gemeinsame Gesprächsebene in Sachen Umwelt zwischen Bund und Ländern und vor allem auch in den Regionen und Kommunen. Die vielversprechenden Aktivitäten zur "Lokalen Agenda 21" sollten weit über das Zieljahr 1996 hinausgehen.

Umweltverbände mehr einbeziehen – mehr Verantwortung geben (2)

Rolle der Umweltverbände in der Umweltpolitik...

In dem neuen Umweltgutachten 1996 untersucht der Umweltrat die Rolle der Umweltverbände in der heutigen umweltpolitischen und gesellschaftlichen Entscheidungsfindung bei Umweltfragestellungen. Aufgezeigt wird der geschichtliche Wandel in Erscheinungsbild und Selbstverständnis der Umweltverbände sowie die Einordnung ihrer Intentionen und Funktionen in das Gesamtgefüge der Organisation gesellschaftlicher Interessen. Rahmenkonzept hierfür ist das Leitbild einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung – sustainable development. Dieses Leitbild ermöglicht die Rolle der Umweltverbände als Promotor ökologischer Belange sozialethisch in einer sich zunehmend diversifizierenden Gesellschaft einzuordnen. Der Umweltrat erkennt die bedeutende Rolle der Umweltverbände bei der Ausbildung eines "Ethos integrierter Verantwortung" durch deren unentbehrlichen Beitrag zur Verankerung eines Umweltbewußtseins in der Bevölkerung an und fordert die Verbände auf, ihrer Rolle als Multiplikatoren des Leitbildes einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung gerecht zu werden. Dabei muß verstärkt an der gesamtgesellschaftlichen Umsetzbarkeit umweltverträglichen Handelns gearbeitet werden. Deshalb ermuntert der Umweltrat Gewerkschaften, Kirchen und wirtschaftliche Gruppierungen ebenso wie die Regierungen zu mehr Kooperation mit und Toleranz gegenüber den Umweltverbänden. Zugleich erfolgt ein Appell an die Umweltverbände, im Rahmen ihrer Pflicht zur Gewissensbildung den Aufbau von Feindbildern zu vermeiden.

... von der Konfrontation...

Die Rolle und Funktion der Umweltverbände ist – sowohl in Außenwirkung und Zusammenarbeit zwischen den Verbänden als auch in interner Organisation und Selbstverständnis – gegenwärtig in einem Wandel begriffen: Resultierend aus dem umweltpolitischen "Rollback" Anfang der 90er Jahre und dem vorangegangenen Ende des "polarisierten Diskurses", der in eine umfassende Institutionalisierung des Umweltschutzes mündete, verlaufen die umweltpolitischen Konfliktlinien inzwischen weniger starr. Beispiele dafür sind die gemeinsame Erklärung der Chemieindustrie und des BUND, die Zusammenarbeit von Greenpeace und Vertretern der Versicherungsbranche oder die Beteiligung des "Forum Umwelt und Entwicklung" im UNCED-Nachfolgeprozeß. Staat und wirtschaftliche Interessenverbände beenden ihre Strategie der Ausgrenzung, es geht um Sachfragen und das zunehmend auch innerhalb der Umweltverbände unstrittige Ziel einer ökologischen Modernisierung der Marktwirtschaft. Konkrete Lösungen sind gefragt Deren Umsetzung verlangt Konsens, Kooperation und Kompromißbereitschaft und eben auch auf seiten der Umweltverbände eine stärkere Professionalisierung, größere Organisationsdichte und Hebung der fachlichen Kompetenz. Insofern konstatiert der Umweltrat sowohl bei Behörden als auch bei den Umweltverbänden und anderen großen Interessengruppen (Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände etc.) eine größere Bereitschaft zur Zusammenarbeit, die im Rahmen der Erarbeitung gesamtgesellschaftlicher Lösungen der anstehenden Umweltprobleme auch als unabdingbar anzusehen ist. Das Verhältnis zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Umweltakteuren ist zwar auf dem Wege der Normalisierung, doch sollten die Verbände früher an Planungsprozessen bzw. den vorausgehenden Phasen der Entscheidungsfindung beteiligt werden. Mangelnde Kooperation hat fatale Wirkungen. Insgesamt sieht der Umweltrat ein Ende der grundsätzlichen Polarisierung zwischen den tragenden gesellschaftlichen Kräften in bezug auf die Herausforderungen der Umweltproblematik. Die Notwendigkeit einer Vernetzung ökologischen, sozialen und ökonomischen Denkens im Sinne der dauerhaft umweltgerechten Entwicklung wird zunehmend bewußt. Die Chancen der Umsetzung und Operationalisierung dieses Leitbildes hängt auch von der zukünftigen Aufgabenwahrnehmung der Umweltverbände ab.

... zur Kooperation

Den Umweltverbänden kommt im Prozeß der Modernisierung staatlichen Verwaltungshandelns nach Auffassung des Umweltrates eine wachsende Bedeutung zu – ihre Einbeziehung in politische und administrative Entscheidungen kann dazu beitragen, die gesellschaftliche Akzeptanz der Entscheidungen von Regierung und Verwaltung zu verbessern. Insofern empfiehlt der Umweltrat eine gesetzliche Regelung der Verbändebeteiligung bei allen UVP-pflichtigen Zulassungsverfahren sowie frühzeitige Beteiligung an Entscheidungen über Programme und Pläne im Bereich des Umweltschutzes und der Festlegung von Umweltstandards. Hier sieht der Umweltrat im deutschen Umweltrecht ein Defizit an rechtlich gewährleisteter Öffentlichkeitsbeteiligung. Umweltverbandsvertreter in Beratungs-, Aufsichts- und Entscheidungsgremien zu berufen, die sich nicht mit den klassischen Bereichen des Naturschutzes oder technischen Umweltschutzes befassen, erscheint dem Umweltrat im Rahmen der Integration des Umweltschutzes in sämtliche gesellschaftliche Handlungsbereiche als sinnvoll. Ebenfalls sollte den Umweltverbänden bei der Besetzung von Beratungsgremien verstärkt ein Vorschlagsrecht eingeräumt werden. Darüber hinaus fordert der Umweltrat die bundesrechtliche Einführung der Verbandsklage in den Bereichen, in denen den Umweltverbänden bereits eine Beteiligung eingeräumt ist. Finanzierungsschwierigkeiten der Umweltverbände sollten jedoch nach Meinung des Umweltrates nicht über staatliche Bezuschussung ausgeglichen werden, sondern eine selbständige Eigenfinanzierung durch Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen erleichtert werden.

Umweltstandards (3)

Ein Stufenmodell zur zukünftigen Festlegung

Analyse bestehender Umweltstandards

Die in der Praxis recht unterschiedlich gehandhabte Festlegung von Umweltstandards hat in der Öffentlichkeit Verunsicherung und Vertrauensschwund verursacht. Der Umweltrat hat erstmals eine umfassende Bestandsaufnahme und eine kritische Analyse bestehender Umweltstandards in Deutschland durchgeführt und zahlreiche Defizite im System festgestellt. Zentraler Bestandteil der Ausführungen des Umweltrates zum Themenkomplex Umweltstandards in seinem Umweltgutachten 1996 ist deshalb die Entwicklung eines mehrstufigen Verfahrensmodells zu deren Festlegung. Ausgangspunkt der Ausführungen ist eine geschichtliche Aufarbeitung von Umweltstandards bzw. Grenzwerten in den Bereichen Arbeitsschutz, Lebensmittel, Trinkwasser, Außenluft sowie Radioaktivität und Strahlung, verbunden mit der bereits erwähnten, umfassenden Bestandsaufnahme und Bewertung der in Deutschland etablierten Standards. Hier hat der Umweltrat 154 Listen mit Umweltstandards unterschiedlicher Art ermittelt. Deren kaum überschaubare Vielfalt wird anhand von Typisierungsmerkmalen, wie Verbindlichkeit, Rechtsquelle, Art des Standards, Schutzgut, Schutzziel, Überwachung, Bewertungsgrundlage, Beteiligung, Berichterstattung, Begründung, Kosten-Nutzen-Erwägung etc., geordnet, um Defizite aufzuzeigen und um die Formulierung einheitlicher Verfahrensregelungen zu erleichtern. Eine kritische Auswertung der Zusammenstellung dieser Listen ergab zahlreiche Unzulänglichkeiten, wie etwa begriffliche und nomenklatorische Vielfalt mit weitgehend undefinierten Inhalten, mangelnde Beteiligung von Öffentlichkeit und gesellschaftlichen Gruppen, fehlende oder unzureichende Begründung für die getroffene Entscheidung bei der Mehrzahl der Standards, mit wenigen Ausnahmen das Fehlen klarer Verfahrensordnungen sowie häufige Nichtveröffentlichung der Rekrutierung und Zusammensetzung der Entscheidungsgremien, uneinheitliche Zuordnung der rechtlichen Verbindlichkeit, meist auch das Fehlen klarer Überwachungsregelungen und festgelegter zeitlicher Fortschreibung der gesetzten Standards.

Bisheriger Wildwuchs erfordert Vereinheitlichung bei der Festlegung

Insgesamt konstatiert der Umweltrat einen Wildwuchs von Standards, der gerade in den letzten Jahren überproportional zugenommen hat und in der Folge zu Mißverständnissen, Verunsicherungen und Vertrauensschwund in der Öffentlichkeit führt. Da der Umweltrat das Instrument der Standards zur Lösung von Umweltproblemen für unverzichtbar hält, sieht er in der Vereinfachung, Vereinheitlichung und Normierung der Standardsetzungsprozesse eine vordringliche staatliche Aufgabe, zu deren Bewältigung er ein mehrstufiges Verfahrensmodell empfiehlt. Dieses schreibt einen sequentiellen Ablauf von elf Stufen vor, bei denen eine systematische Informationsgewinnung, die Einbeziehung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und der Interessenausgleich zwischen ihnen im Vordergrund steht (siehe Abbildung). Die Diskussion dient vor allem einer Optimierung der Akzeptanz von Standards in der Öffentlichkeit. Umweltstandards sollen nach Auffassung des Umweltrates in voller Transparenz erarbeitet und angewendet werden. Dazu gehört die veröffentlichte Begründung von Bewertungen und Entscheidungen in allen Stufen der Standardsetzungsprozesse; dies bedeutet eine Festschreibung der Berichterstattungspflicht. Ausführliche, laienverständliche Begründungen sollen auf allen Stufen des Verfahrensmodells geliefert werden, d. h. nicht nur für die naturwissenschaftliche Zustandsanalyse und den dazugehörigen Standardvorschlag, sondern auch für die vom Umweltrat als obligatorisch eingeforderten Kosten-Nutzen-Analysen. Darüber hinaus soll die Kontrolle der Einhaltung von Standards gewährleistet werden, wozu die Festlegung geeigneter Methoden, d. h. Meßverfahren und -strategien ebenso in das Verfahrensmodell einbezogen wird wie die Fortschreibungspflicht bzw. regelmäßige Überprüfung nach Maßgabe neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse oder veränderter gesellschaftlicher Bedürfnisse. Diese sollen, neben der Bildung und Zusammensetzung entsprechender Entscheidungsgremien auf den verschiedenen Ebenen des Stufenmodells, in einer Verfahrensordnung festgelegt werden.


Umweltgerechte Finanzreform (4)

Umweltrat fordert, das gesamte Steuersystem ökologisch zu überarbeiten

Aufbauend auf der Erkenntnis, daß wirtschaftliche Anreize effizient zur Reduktion der Inanspruchnahme unserer natürlichen Lebensgrundlagen beitragen können, greift der Umweltrat in seinem Umweltgutachten 1996 die komplexe Diskussion um eine umweltgerechte Finanzreform auf. Diese wird in den breiteren Kontext des Leitbildes einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung systematisch eingegliedert, um daraus Prioritäten für das umweltpolitische Handeln in den nächsten Jahren herzuleiten. Hier geht es nicht einfach um die Einführung einer neuen "Superabgabe", sondern um den langfristig angelegten Versuch, alle Positionen der staatlichen Budgets (also Einnahmen und Ausgaben) auf ihre Umweltrelevanz zu prüfen und so zu reformieren, daß sie zusammen mit anderen, nicht budgetären Maßnahmen der Umweltpolitik einen optimalen Instrumentenmix für eine auf dauerhaft umweltgerechte Entwicklung hin angelegte Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik darstellen. Ökologische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung miteinander in Einklang zu bringen, erfordert eine Politik der kleinen Schritte, die die Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft wie der Menschen berücksichtigt. Damit der vorgeschlagene Strukturwandel hin zu einer weniger energie- und materialintensiven Wirtschafts- und Lebensweise rechtzeitig zustande kommt, müssen erste Maßnahmen unmittelbar eingeleitet werden. Die Bausteine einer umweltgerechten Finanzreform hat der Umweltrat in folgender Abbildung schematisierAufbauend auf der Erkenntnis, daß wirtschaftliche Anreize effizient zur Reduktion der Inanspruchnahme unserer natürlichen Lebensgrundlagen beitragen können, greift der Umweltrat in seinem Umweltgutachten 1996 die komplexe Diskussion um eine umweltgerechte Finanzreform auf. Diese wird in den breiteren Kontext des Leitbildes einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung systematisch eingegliedert, um daraus Prioritäten für das umweltpolitische Handeln in den nächsten Jahren herzuleiten. Hier geht es nicht einfach um die Einführung einer neuen "Superabgabe", sondern um den langfristig angelegten Versuch, alle Positionen der staatlichen Budgets (also Einnahmen und Ausgaben) auf ihre Umweltrelevanz zu prüfen und so zu reformieren, daß sie zusammen mit anderen, nicht budgetären Maßnahmen der Umweltpolitik einen optimalen Instrumentenmix für eine auf dauerhaft umweltgerechte Entwicklung hin angelegte Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik darstellen. Ökologische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung miteinander in Einklang zu bringen, erfordert eine Politik der kleinen Schritte, die die Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft wie der Menschen berücksichtigt. Damit der vorgeschlagene Strukturwandel hin zu einer weniger energie- und materialintensiven Wirtschafts- und Lebensweise rechtzeitig zustande kommt, müssen erste Maßnahmen unmittelbar eingeleitet werden. Die Bausteine einer umweltgerechten Finanzreform hat der Umweltrat in folgender Abbildung schematisiert.

Energie-, CO2-Abgabe oder Lizenzen?

Der zur Zeit am meisten diskutierte Vorschlag für den Einstieg in eine umweltgerechte Finanzreform ist die Erhebung einer Energieabgabe. Diese wirkt jedoch nach Auffassung des Umweltrates zu wenig gezielt. In einer ökologischen Wirkungsanalyse zeigt der Umweltrat, daß mit einer Energieabgabe das Emissionsreduktionsziel für höchstens einen Schadstoff erreicht werden kann, während für die übrigen Schadstoffe ein Nachsteuern mit weiteren, spezifisch auf diese ausgerichteten Instrumenten erforderlich wäre. Effizienzvorteile durch Brennstoffsubstitution bleiben bei einer pauschalen Besteuerung des Energiegehalts ungenutzt. Der Umweltrat empfiehlt daher, den Kohlenstoffgehalt fossiler Energieträger als Bemessungsgrundlage für den Einsatz ökonomischer Instrumente zur Senkung der CO2¬Emissionen heranzuziehen. Ein System handelbarer CO2-Emissionsrechte (sogenannter Lizenzen) ist einer Abgabenlösung hinsichtlich der ökologischen Treffsicherheit eindeutig überlegen. Darüber hinaus stellt ein solches System wohl die einzige Lösung für eine weltweite CO2-Politik dar. Der Umweltrat empfiehlt der Bundesregierung, sich für einen globalen, in einer Vorstufe zumindest europaweiten, Lizenzmarkt für CO2-Emissionen anstelle der zur Zeit von der Europäischen Kommission diskutierten kombinierten CO2-/Energieabgabe einzusetzen.

Nationaler Alleingang in der CO2-Politik

Da bis zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Systems handelbarer Emissionsrechte möglicherweise viel Zeit verstreichen wird, darf Deutschland als führender Industriestaat in der Zwischenzeit nicht untätig bleiben. Ein nationaler Alleingang sollte allerdings möglichst geringe institutionelle Kosten verursachen. Von daher erscheint die Einführung einer Abgabe zunächst geeigneter als die Einführung eines Lizenzsystems. Aus diesem Grund empfiehlt der Umweltrat, mit der unverzüglichen Einführung einer CO2-Abgabe auf nationaler Ebene den Anschluß an die Vorreiterstaaten in Europa zu suchen, die bereits eine CO2- und/oder Energieabgabe auf fossile Brennstoffe erheben. Mit diesem Schritt könnte die Bundesregierung nicht nur in glaubwürdiger Weise Druck in Richtung auf eine europäische (und später weltweite) Lösung entfalten, sondern auch ihre CO2-Reduktionsziele in geeigneter Form verfolgen. Um zu verhindern, daß bei einem nationalen Alleingang die Emissionen lediglich vom In- ins Ausland verlagert werden, schlägt der Umweltrat die Formulierung von Ausnahmeregelungen für besonders betroffene Branchen bzw. Prozesse vor, sofern diese in Importkonkurrenz stehen. Dies bedeutet faktisch, daß der Haushaltssektor und der Verkehr voll besteuert würden, während für die Industrie, je nach ihrer Belastung mit der Abgabe, prozeßbezogene Ausnahmetatbestände gelten würden.

Nicht nur bei CO2 ansetzen


Weitere Anwendungsfelder für eine umweltgerechte Finanzreform werden im neuen Umweltgutachten beispielhaft diskutiert. So schlägt der Umweltrat im Verkehrssektor unter anderem die Lenkung weitestgehend linear mit dem Kraftstoffverbrauch zusammenhängender Emissionen (wie Kohlendioxid und Benzol) über die Mineralölsteuer vor. Eine Reform der Kfz-Steuer sollte eine Anlastung der fixen Wegekosten über Vignetten vorsehen, während gleichzeitig durch eine emissionsorientierte Differenzierung der Kfz-Steuer ökonomische Anreize zum Kauf emissionsärmerer Fahrzeuge gesetzt werden müßten. Darüber hinaus regt der Umweltrat im Verkehrsbereich die Abschaffung zahlreicher Steuervergünstigungen mit ökologisch bedenklichen Wirkungen an. Auch in den Bereichen Landnutzung, Wassernutzung und Abfallpolitik zeigt der Umweltrat Ansatzpunkte für eine Reform des Finanzsystems auf. Von einer Zweckbindung der Einnahmen sowie von einer ökologisch kontraproduktiven Verausgabung der Mittel ist nach Ansicht des Umweltrates abzusehen. Zudem sollte die Erhebung von Lenkungsabgaben und die ökologisch induzierte Abgabenspreizung angesichts der jetzt schon hohen Abgabenlast aufkommensneutral sein. Eine komplementäre soziale Entlastungsstrategie zur Einlösung des Anspruchs sozialer Gerechtigkeit an eine umweltgerechte Finanzreform erscheint in diesem Zusammenhang unerläßlich.

In kleinen Schritten langfristig konkretisieren

Die erforderliche Konkretisierung und Umsetzung einer umweltgerechten Finanzreform sollte einer von der Bundesregierung einzurichtenden, pluralistisch zusammengesetzten ad-hoc-Kommission anvertraut werden.

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